Gerlinde Krauß

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Gerlinde Krauß 1941 – 2022

Erinnerung an eine Menschenfreundin

Am Ostersamstag, den 16. April 2022, ist die Rosenheimer Malerin Gerlinde Krauß im Alter von 81 Jahren in einem Seniorenheim in Kehlheim verstorben.

Wir alle haben Gerlinde Krauß gut gekannt und ihr Leben streckenweise begleitet. In Rüdiger Zucks „Meisterwerke naiver Malerei“, 1974, kann man lesen, was Gerlinde Krauß selbst aus ihrem Leben erzählt. Geboren am 27. Januar 1941 in Kolbermoor wuchs sie bei ihrer liebevollen Oma glücklich in Rosenheim auf. Nach der mittleren Reife besuchte sie in München die Frauenfachschule und legte am Städtischen Kindergärtnerinnen-Seminar erfolgreich die Staatsprüfung ab. Zunächst ging sie nach Rom und erwarb für ein halbes Jahr Erfahrungen in der Betreuung italienischer Kinder. Dieser erste Schritt der Offenherzigkeit durchzog ihr ganzes Leben. Wieder daheim arbeitete sie in Münchner Freizeitheimen bis sie 1963 eine Stimmbandschädigung erlitt und ihr während der Therapie Stillschweigen auferlegt worden war. So suchte sie einen anderen Weg, ihre Wahrnehmungen und Eindrücke darzustellen. Seitdem malte Gerlinde Krauß. Geprägt von ihrer bayerischen Heimat und ihrem christlichen Glauben beginnt sie mit starken, farbigen ländlichen Szenen. Bereits in den ersten Darstellungen drückt sie ihre Liebe zu allen Mitgeschöpfen aus.

Gerlinde Krauß ist Autodidaktin, durchläuft jedoch während der sechs Jahrzehnte ihres Schaffens eine deutliche Entwicklung ihres Könnens. Ihre Maltechnik ist Öl auf Holzfaserplatte oder Leinwand, wobei die zahlreichen Handskizzen in ihren Briefen und auf den Rückseiten ihrer akribisch dokumentierten Werke für sie als Person typisch sind und für ihre Betrachter einen reichen Fundus ihres Lebens bedeuten. Beginnend mit der kräftig bunten Farbpalette malt sie ihre frühen heiteren, kleinteiligen Wimmelbilder, die alle Einzelheiten bayerischen Alltags erzählen oder auf Feld und Flur jedes Blättchen und Blütchen um tanzende Paare liebevoll präsentieren. Zunehmend wachsen ihre Figuren heran, entstehen klare Kompositionen mit Landschaften oder Gebäuden im Hintergrund, davor Familien- und Freundeskreise oder auch ganz bestimmte Menschen in einem aussagekräftigen Geschehen. Vielfach transportiert sie damit auch ihre Botschaften auf der Leinwand.

Neue Farben wie das warme Rotviolett und die zart schimmernde Pastelltöne begleiten sanfte, freundliche Geschichten. Ocker, Rotbraun und Grau kennzeichnen ihre ernsten Missionen. In einer kurzen Phase entstehen hauchzarte, fast durchsichtige Sinnbilder ihrer damaligen Gefühlswelt. Blau ist die Farbe, die sie von Anfang an einsetzt als frisches Himmelblau, als mattes Blaugrau, als kräftiges Aquamarinblau. Blau bleibt auch auf ihren letzten Werken erhalten als eine Kundschaft auf fast weißem Hintergrund mit nur wenigen gelben Lichtern.

Am Anfang ihrer Malerei sieht man, was Gerlinde sieht und was ihr gefällt. Ähnliche Motive erinnern an die der Naiven Max Raffler, Nikifor und Kumpf. In der Technik beeindruckten sie die exakten Strichführungen von Jan Balet und György und Dorothea Stefula, die sie teilweise übernimmt. Die bewegte Bildgestaltung von Marc Chagall, mit dem sie oft verglichen wird, nennt Gerlinde Krauß eher zufällige Ähnlichkeiten, die ihr durchaus gefallen, weil sie der ihren erstaunlich verwandt ist. Als Einfluss bezeichnet sie diese aber nicht. Dies gilt erstaunlicher Weise eher für das Werk eines ganz anderen Künstlers, nämlich Paul Klee. Nach dem Besuch einer Paul-Klee-Ausstellung inspirierte sie dessen radikale Simplifizierung und Reduktion. Sie fing an, dies in ihren Clown-Bildern umzusetzen, beendete den Exkurs aber schnell. Dafür war für sie die Vielfalt ihrer eigenen Anschauung zu reichhaltig. Einen weitaus deutlicheren Einfluss hatten die mittelalterlichen Fresken, die sie bei einer Reise nach Assisi studiert hatte. Sie kam zurück und nahm die ausdrucksstarken Gesichter mit ihren großen klaren Augen auf und vermittelte ihren Menschenbildern einen bisher übergangenen Charakter. Diese neue strukturelle Technik beeindruckt besonders in ihren Heiligenporträts von Benedikt von Nursia oder Franz von Assisi. Sie hatte ihr Können erweitert, auf eine eigene Basis gestellt und entwickelte ihren eigenen Stil.

Betrachtet man die Thematik ihres umfangreichen Schaffens auf der Zeitlinie ihres Lebens, so bewegen sich die Motive Gerlindes von einer naiven Bilderwelt über die Lebensgeschichten ihrer Mitmenschen hin zu ausdrucksstarken, christlichen Botschaften und konzentriert sich am Ende in der Frage nach dem Sinn des Erdenlebens. Nach und nach rücken die Personen aus dem Zentrum, während Landschaften, Jahreszeiten und Wege ihre Gemälde illustrieren. Fast immer führen die Pfade zum einem Haus, einer schützenden Heimstätte. Zuletzt bestimmt eine zunehmend abstrakte Sicht ihr Weltbild – ein blauer Planet im All der Gestirne. Auf der Rückseite hat sie ein Gedicht formuliert: „Blaue Ehre der Erde, Schönheit der Erde aus Freundschaft geboren küsst mir die Augen, das Herz und den Mut, gibt mir zu trinken und heißt mich gut.“

Die Dynamik ihres künstlerischen Schaffens ging immer von ihrer eigenen Sicht der Dinge aus und davon, wie sie diese interpretierte. Sie hatte ein großes Herz und meinte es immer gut. Wenn sie sich mit Wort und Bild, um eine Versöhnung zwischen dem Papst im Vatikan und dem Schweizer Theologen Hans Küng bemühte, erhielt sie Anerkennung. Wenn sie jeden Regenwurm von der Straße auf die Wiese trug, wenn die Zahl der Katzen, denen sie Herberge bot, stetig anwuchs, fand sie Mitgefühl. Wenn sie ihren Hausstand auf ein Minimum verschenkte, interpretierte man dies als überbordende Gutmütigkeit. Wenn sie ihre einzige Wohnung für bosnische Flüchtlinge räumte, zweifelte man an ihrer Urteilskraft. Wenn sie anderer Leute Lebensweise verändern wollte, erntete sie Unverständnis. Die Begegnung mit Pfarrer Dr. Habbel, der Personifizierung von Toleranz, hat ihrem Leben eine gewisse Ordnung verschafft. Als installierte Pfarrhaushälterin erhielt sie eine Heimstatt samt winzigem Rentenanspruch und damit eine gewisse Sicherheit auch über dessen Tod hinaus.

Gerlinde brauchte zum Leben nicht viel. Ihre eigenständig gewählte Armut war Genügsamkeit nicht Not. Dahinter steckte auch eine große Portion Unabhängigkeit. Sie konnte ihre Art zu leben unabhängig bestimmen. Wenn es nötig war, fand sie unter ihren Freunden notfalls die erforderliche Hilfe. Aber sie brauchte ja nicht viel. Vielmehr beschenkte sie die anderen. Es gab mehrere Galeristen, die sie gerne vertraten. In den 70ger Jahren war der Preis ihrer Bilder auf 1000 DM gestiegen. Mit 4 -5 Exemplare pro Monat hätte sie ein gesichertes Leben in beträchtlicher Anerkennung führen können. Dennoch löste sie sich von dieser Zunft, weil die Verträge wie üblich das gesamte Werk beanspruchten. Dabei hatte sie keine Bilder mehr verschenken dürfen, wobei es sicher möglich gewesen wäre einen Kompromiss zu vereinbaren. Das hätte Gerlinde Krauß für ihr ganzes Erdendasein von allem Geldmangel befreit, aber sie verschenkte den überwiegenden Teil ihrer umfangreichen Produktion und verlangte lediglich so viel, wie sie für Farben und Leinwand ausgeben musste. Sie entschied sich auf ihre Art und verharrte auf ihrem selbstbestimmten Weg, der wahrlich nicht immer leicht war. Im fortgeschrittenen Alter forderten Krankheit und Geldnot ihren Tribut. Gerlinde Krauß wurde von der autonomen Künstlerin zur abhängigen Dulderin in einem Seniorenheim fernab von ihrer Rosenheimer Heimat.

Dennoch wird Gerlinde Krauß hier nicht vergessen. Ihr Rosenheimer Freundeskreis hält ihre Bedeutung hoch. Nicht nur die Erinnerung, sondern auch ihr Vermächtnis. Geplant sind ein Werkverzeichnis und auch eine Biographie mit unzähligen Geschichten und Begebenheiten. Wer eines ihrer Bilder besitzt, möge es uns mitteilen, damit wir es in unser Verzeichnis aufnehmen. Ziel ist ebenfalls eine große Gerlinde-Krauß-Ausstellung. Sie ist eine Rosenheimer Künstlerin, deren Schaffen den gebührenden Beifall verdient.

Text: Lisa Hauzenberger-Recher